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Obsorge für einen unbegleitet nach Österreich gelangten minderjährigen Asylanten

 
 

Für einen unbegleitet nach Österreich gelangten minderjährigen Asylanten ohne Angehörige ist zur Deckung seiner Grundbedürfnisse und Vertretung im Asylverfahren der zuständige Jugendwohlfahrtsträger zur Ausübung der Obsorge zu bestellen.

Der 14-jährige Martin stammt aus Nigeria und kam im September 2005 allein und ohne Begleitung nach Österreich; er hat um Asyl angesucht und wird derzeit von einer Flüchtlingsorganisation betreut. Diese regte an, eine geeignete natürliche Person oder den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Soziale Arbeit mit Familien, als Jugendwohlfahrtsträger mit der Obsorge oder einstweiligen Obsorge für den Minderjährigen zu betrauen.

Das Erstgericht fasste den Beschluss, von einer derartigen Betrauung Abstand zu nehmen, weil eine Gefährdung des Minderjährigen derzeit nicht vorliege. Das vom Minderjährigen angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.

Der OGH gab dessen Revisionsrekurs Folge und änderte die Beschlüsse der Vorinstanzen dahin ab, dass er die Obsorge dem bezeichneten Jugendwohlfahrtsträger übertrug.
In Anwendung des Haager Minderjährigenschutzabkommens sind die Behörden des Staates, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zu Schutzmaßnahmen verpflichtet, falls der Minderjährige in seiner Person oder in seinem Vermögen „ernstlich gefährdet“ ist. Davon ist hier auszugehen, geht es doch bei Auslegung dieses Begriffes nicht bloß um die Sicherstellung der Grundbedürfnisse wie Essen, Wohnen, Kleidung, Schulbesuch und medizinische Behandlung im Krankheitsfall, sondern um sämtliche von § 146 ABGB umfassten Aspekte, wie insbesondere die Entfaltung der körperlichen, geistigen, seelischen und sittlichen Kräfte und die Förderung der Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes. Ein Minderjähriger, der 14-jährig unbegleitet nach Österreich kommt und um Asyl ansucht, bedarf – auch wenn er geringfügige Angelegenheiten des Lebens schon selbst regeln kann – über die Deckung seiner Grundbedürfnisse und einer Vertretung im Asylverfahren hinaus entsprechender Unterstützung, die ihm nur im Rahmen der vollen Obsorge zuteil werden kann, weshalb ihm der zuständige Jugendwohlfahrtsträger als Obsorgeberechtigter zur Seite zu stellen war.

Zum Volltext im RIS

 
ogh.gv.at | 25.04.2024, 19:04
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/obsorge-fuer-einen-unbegleitet-nach-oesterreich-gelangten-minderjaehrigen-asylanten/)

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