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Zum Schutzzweck des Medizinproduktegesetzes 1996 im Zusammenhang mit der Verwendung eines Intrauterinpessars

 
 

Die das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) treffenden Aufsichts-, Überwachungs- und Informationspflichten nach dem Medizinproduktegesetz 1996 hatten insbesondere den Zweck, das Leben und die Gesundheit von Patienten vor Gefahren durch Medizinprodukte zu schützen. Bei durch Verletzung dieser Pflichten verursachten Schäden kommt daher eine Amtshaftung des Bundes in Betracht.

Die Erstbeklagte – ein Unternehmen mit Sitz in Spanien – ist Herstellerin eines Intrauterinpessars (Spirale), das zur Empfängnisverhütung verwendet wird. Der zweitbeklagte Bund ist der Rechtsträger des BASG.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten – gegenüber dem Zweitbeklagten gestützt auf das Amtshaftungsgesetz – insbesondere die Zahlung von Schmerzengeld, weil die zur Empfängnisverhütung verwendete Spirale aufgrund eines Materialfehlers gebrochen und das Bruchstück in ihrem Körper verblieben sei. Obwohl das BASG bereits seit Frühjahr 2018 gewusst habe, dass die Spiralen der Erstbeklagten mangelhaft seien, habe es erst im September 2020 auf ihrer Website die Sicherheitsinformation der Erstbeklagten veröffentlicht, sonst aber keine weiteren Maßnahmen ergriffen. Das BASG als Aufsichtsbehörde habe daher rechtswidrig und schuldhaft die nach dem Medizinproduktegesetz 1996 gebotenen Maßnahmen unterlassen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren gegenüber dem Zweitbeklagten ohne Durchführung eines Beweisverfahrens mit Teilurteil ab.

Das Berufungsgericht hob dieses Teilurteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts falle die Klägerin als Verwenderin einer Spirale prinzipiell unter den Schutzzweck der im Medizinproduktegesetz 1996 vorgesehenen Aufsichtspflichten des BASG. Zur abschließenden Beurteilung, ob den Zweitbeklagten eine Amtshaftung treffe, fehlten allerdings Tatsachenfeststellungen.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte die zweitinstanzliche Entscheidung.

Auch bei Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen haftet der Rechtsträger für rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten seiner Organe nur dann, wenn die übertretene Verhaltensnorm nach ihrem Schutzzweck gerade auch den eingetretenen Schaden verhindern sollte. Für die Annahme des erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhangs genügt angesichts der in der Regel primär öffentliche Interessen wahrenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften zwar, dass die Verhinderung eines Schadens beim Dritten bloß mitbezweckt ist, die Norm muss aber die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen intendiert haben.

Sowohl der Wortlaut des Medizinproduktegesetz 1996 (insbesondere §§ 68, 75 bis 77) als auch die Gesetzesmaterialien lassen keinen Zweifel daran, dass nicht zuletzt durch die dem BASG auferlegten Pflichten gerade Schäden der Patienten, Anwender oder Dritter, die mit dem Medizinprodukt in Berührung kommen, verhindert werden sollten. Zwar betraf die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben des BASG eine – je nach Medizinprodukt – mehr oder weniger große und unbestimmte Zahl von Personen. Diese ist aber nicht der Allgemeinheit gleichzusetzen, sondern umfasst konkret den Personenkreis der „Patienten, Anwender oder Dritten“, deren „Gesundheit oder Sicherheit“ durch das Medizinprodukt gefährdet werden könnte.

Zum Volltext im RIS.

 
ogh.gv.at | 27.04.2024, 03:04
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/zum-schutzzweck-des-medizinproduktegesetzes-1996-im-zusammenhang-mit-der-verwendung-eines-intrauterinpessars/)

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