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Unwirksame Zustellung bei verbleibenden Zweifel

 
 

Kann ein Zustellvorgang nicht geklärt werden, sodass Negativfeststellungen getroffen werden müssen, ist nicht von der Wirksamkeit einer Zustellung auszugehen.

Die Klägerin begehrte mit ihrer Mahnklage von der beklagten Gesellschaft 21.826,47 EUR sA. Nach dem Bericht des Zustellers wurde der antragsgemäß erlassene Zahlungsbefehl am Sitz der Beklagten zugestellt. Nach dem Zustellnachweis erfolgte die Zustellung an einen namentlich nicht genannten, dem Zustellorgan aber persönlich bekannten „Arbeitnehmer“.

Die Beklagte beantragt die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und die Zustellung des Zahlungsbefehls. Sie machte zusammengefasst geltend, dass die aus dem Rückschein ersichtliche Unterschrift weder von ihren Geschäftsführern noch von einem sonstigen Mitarbeiter stamme. Von der Existenz des Zahlungsbefehls hätte sie erstmals durch die Zustellung der Exekutionsbewilligung erfahren.

Das Erstgericht hob die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls nach § 7 Abs 3 EO auf.

Es stellte fest, dass der (faktische) Zustellvorgang vom Briefträger durchgeführt wurde. Der Zusteller übergab den Zahlungsbefehl an jene Person, die die Übernahme am Handheld mit der auf dem Rückschein ersichtlichen Unterschrift bestätigte. Von wem konkret die aus der Übernahmebestätigung ersichtliche Unterschrift stammt, steht aber nicht fest. In rechtlicher Hinsicht hob das Erstgericht hervor, es sei nicht feststellbar, an wen die Zustellung konkret erfolgt sei. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass an eine annahmeberechtigte Person zugestellt worden sei. Damit könne der Vollstreckbarkeitsbestätigung auch keine rechtswirksame Zustellung zugrundegelegt werden, sodass die Bestätigung aufzuheben sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin Folge und wies den Antrag der Beklagten ab. Es hob hervor, dass offen bleibe, ob die Beurkundung auf der Übernahmebestätigung den tatsächlichen Verhältnissen entsprach oder nicht. Der Gegenbeweis nach § 292 Abs 2 ZPO sei aber nur dann gelungen, wenn der Nachweis erfolgt, dass die Beurkundung nicht den wirklichen Tatsachen oder Vorgängen entsprochen hat. Bei einem „non liquet“ sei der Gegenbeweis nicht erbracht.

Der Oberste Gerichtshof stellte die Entscheidung des Erstgerichts wieder her.

Er hielt zunächst fest, dass Zustellausweise nach § 292 Abs 1 ZPO öffentliche Urkunden sind, die, wenn sie (wie hier) die gehörige äußere Form aufweisen, den vollen Beweis dafür erbringen, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist. § 292 Abs 2 ZPO ermöglicht bei einer öffentlichen Urkunde den „Beweis der Unrichtigkeit“ des bezeugten Vorgangs, der bezeugten Tatsache oder der unrichtigen Beurkundung.

Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung wird der Beweis des Gegenteils verlangt. Bei einem solchen Beweis des Gegenteils muss der Richter – im Sinne einer Beweislastumkehr – überzeugt werden, dass die vermutete Tatsache bzw der vermutete Rechtszustand nicht besteht. Davon zu unterscheiden ist der sog Gegenbeweis, bei dem es bereits ausreicht, dass eine Vermutungsbasis erschüttert wird, womit beim Richter Zweifel an der Überzeugungskraft der vorhandenen Beweismittel erweckt werden, ohne dass er vom Gegenteil überzeugt sein müsste.

Die Rechtsprechung spricht bei einem Zustellnachweis im Zusammenhang mit § 292 Abs 2 ZPO in aller Regel (nur) von der Notwendigkeit des „Gegenbeweises“. Daran ist für die hier zu prüfende Problematik insoweit anzuküpfen, als der Wortlaut des § 292 Abs 2 ZPO jedenfalls im Zustellwesen einschränkend als Gegenbeweis zu interpretieren ist. Dem liegt zugrunde, dass das Gericht im Rahmen der amtswegigen Überwachung des Zustellwesens (§ 87 Abs 1 ZPO) die gesetzmäßige Zustellung selbständig zu überprüfen hat. Infolge dieser Amtswegigkeit der Zustellung sind allfällige Unrichtigkeiten in der Beurkundung von Amts wegen zu erheben und zu beachten. Aus dem Gebot der amtswegigen Überprüfung ist auch abzuleiten, dass zB das strenge Neuerungsverbot (§ 482 ZPO) bei der Prüfung eines Zustellvorgangs nicht gilt. Bei erkennbaren Zustellfehlern durch die Zustellorgane ist durch das Gericht eine neue Zustellung zu veranlassen, ohne dass es eines Antrags bedürfte. Weichen bei der gebotenen Prüfung des Zustellvorgangs Beweisergebnisse voneinander ab und kann der Sachverhalt auch nicht im Wege der Beweiswürdigung geklärt werden, ist im Zweifel keine wirksame Zustellung anzunehmen. Damit schlägt die Amtswegigkeit des Zustellwesens bei der Auslegung des § 292 Abs 2 ZPO durch, was auch Ausfluss des öffentlich rechtlichen Charakters der Zustellnormen ist. Diejenige Partei, die sich darauf beruft, dass an sie – ungeachtet eines vom Zusteller erstellten Zustellausweises – keine wirksame Zustellung erfolgt ist, muss demnach nicht beweisen, dass das Zustellorgan die Zustellung falsch beurkundet hat.

Wegen der im Anlassfall getroffenen Negativfeststellung bestehen nach wie vor noch Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung an die Beklagte, weshalb von der Unwirksamkeit der Zustellung auszugehen ist.

Zum Volltext im RIS.

 
ogh.gv.at | 25.04.2024, 20:04
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/unwirksame-zustellung-bei-verbleibenden-zweifel/)

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