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Rehabilitationsgeld ist nach Deutschland zu „exportieren“

 
 

Der OGH klärt, dass Rehabilitationsgeld auch im unionsrechtlichen Kontext als Leistung bei Krankheit zu qualifizieren ist. Aufgrund des besonderen Charakters an der Schnittstelle von Leistungen bei Krankheit und Leistungen bei Invalidität sind primärrechtliche Grundsätze heranzuziehen, die dazu führen, dass die Koordinierung innerhalb der Union wie bei Leistungen bei Invalidität vorzunehmen ist. Das Rehabilitationsgeld ist daher ins EU-Ausland zu „exportieren“.

Nach ihrem Schulabschluss begann die Klägerin in Österreich eine Lehrausbildung zur Hotelfachfrau, die sie in Deutschland fortsetzte und abschloss. In Deutschland erwarb die Klägerin in der Lehrzeit 66 Versicherungsmonate, in Österreich erwarb sie 27 Versicherungsmonate. Seit dem Jahr 2007 ist die Klägerin durchgehend in Deutschland wohnhaft. Von 1. Oktober 2011 bis 31. März 2014 bezog die Klägerin in Österreich eine befristete Invaliditätspension. Sie ist auch seit 1. April 2014 nicht in der Lage, eine berufliche Tätigkeit zu verrichten; eine Besserung ihrer Leistungsfähigkeit ist zu erwarten.

 

Die Vorinstanzen verpflichteten die beklagte Pensionsversicherungsanstalt, der Klägerin ab 1. April 2014 Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung zu gewähren. Der Oberste Gerichtshof bestätigte diese Entscheidung.

 

Mit dem mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Sozialrechts-Änderungsgesetz 2012 wurde die befristete Invaliditätspension abgeschafft. An ihre Stelle traten – für den Fall vorübergehender Invalidität – Rehabilitationsgeld und Umschulungsgeld. Die Versicherten sind verpflichtet, sich zumutbaren Maßnahmen der beruflichen und/oder medizinischen Rehabilitation zu unterziehen, die letztlich eine Reintegration in den Arbeitsmarkt bewirken sollen. Innerstaatlich ist das Rehabilitationsgeld als (Geld-)Leistung aus der Krankenversicherung definiert, obwohl es auch Elemente enthält, die einer Leistung aus der Pensionsversicherung entsprechen.

Die Antwort auf die entscheidende Frage, ob die Klägerin trotz ihres Wohnsitzes in Deutschland Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus Österreich hat, hängt von der unionsrechtlichen Einordnung der Leistung ab. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH gelangt der OGH zum Ergebnis, dass das Rehabilitationsgeld im Rahmen der europäischen Sozialrechtskoordinierung als Geldleistung bei Krankheit zu qualifizieren ist, weil mit der Leistung das Risiko einer zeitlich begrenzten Minderung der Arbeitsfähigkeit abgedeckt werden soll, wenn die Chance auf Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit besteht. Leistungszuständig wäre dann im Fall der Klägerin Deutschland als Wohnsitzstaat.

Allerdings darf bei der Beurteilung der Leistungszuständigkeit der Sondercharakter des Rehabilitationsgeldes an der Schnittstelle zwischen Krankheit und Invalidität nicht außer Acht gelassen werden. So setzt das Rehabilitationsgeld bestimmte Versicherungs- und Beitragszeiten in der Pensionsversicherung voraus und soll außerdem die befristete Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspension ersetzen, die zuvor als Leistung bei Invalidität einzuordnen war. Die alleinige Zuständigkeit des ausländischen Wohnsitzmitgliedstaates und der damit einhergehende Leistungsverlust trotz bereits im Inland erworbener Versicherungszeiten könnte in bestimmten Fällen die unionsrechtliche Freizügigkeit beschränken, vor allem dann, wenn der aktuelle Wohnsitzmitgliedstaat keine dem Rehabilitationsgeld entsprechende Leistung kennt.

Besteht grundsätzlich in Österreich ein Leistungsanspruch auf Rehabilitationsgeld, sind auch die Regeln über die Exportpflicht nach Art 21 der VO 883/2004 anwendbar, weshalb der Anspruch der Klägerin zu bejahen ist, auch wenn sie ihren Wohnsitz in Deutschland hat.

 
ogh.gv.at | 27.07.2024, 05:07
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/rehabilitationsgeld-ist-nach-deutschland-zu-exportieren/)

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