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Rechtzeitigkeit einer Operationsaufklärung

 
 

Einen Tag vor einer folgenschweren und nicht dringenden Operation ist zu spät.                                        .

Die damals adipöse Klägerin unterzog sich einer laparoskopischen Magenbypass-Operation (Anlage eines Roux-en-Y-Magenbypasses). Aufgrund von ihr während der vorherigen monatelangen umfangreichen interdisziplinären Abklärung zwischen Chirurgie, Psychosomatik und Stoffwechselambulanz erteilten Informationen wusste sie, dass sich die Verdauung durch den Eingriff grundsätzlich ändern würde und sie war auch grundsätzlich dazu bereit, damit verbundene Nachteile wie Blähungen, Durchfall, Verstopfung und Erbrechen hinzunehmen. Die umfassende gehörige Aufklärung erhielt sie aber erst am späten Nachmittag des Vortages der Operation, als eine Ärztin mit ihr den Aufklärungsbogen, der alle wesentlichen Informationen über mögliche Komplikationen und Folgebeschwerden beinhaltete, Schritt für Schritt durchging.

Das Berufungsgericht trat der Rechtsauffassung des Erstgerichts bei, der Klägerin sei zu diesem Zeitpunkt das Verschieben oder gar Absagen der Operation nicht mehr zumutbar gewesen und die Aufklärung daher nicht rechtzeitig erfolgt.

Der Oberste Gerichtshof wies die außerordentliche Revision zurück, weil sich das angefochtene Berufungsurteil im Rahmen seiner Rechtsprechung hält. Dazu führte er aus:

Die ärztliche Aufklärung hat so rechtzeitig zu erfolgen, dass dem Patienten eine angemessene Überlegungsfrist bleibt; deren Dauer hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Entgegen der Ansicht der beklagten Krankenanstaltenträgerin steht das Berufungsurteil nicht in Widerspruch zu der zu 1 Ob 107/20x ergangenen Entscheidung. Dort billigte der Oberste Gerichtshof zwar die Beurteilung der damaligen Vorinstanz, die am Vortag der Operation (radikale Prostatektomie) erfolgte ärztliche Aufklärung sei rechtzeitig erfolgt; der Fall war aber dadurch gekennzeichnet, dass dem damaligen Patienten, sollte er sich gegen die Operation sogleich am nächsten Tag entscheiden, um sich die Sache noch einmal in Ruhe zu überlegen, bereits ein Ersatztermin rund einen Monat später angeboten worden war. Vor diesem Hintergrund war – anders als hier vertretbar von den Vorinstanzen angenommen – in jenem Fall dem Patienten die Absage des für den nächsten Tag vorgesehenen Operationstermins zumutbar.

Die Schwere der hier erfolgten Operation bzw der mit ihr einhergehenden oder zumindest drohenden Folgen kann auch nicht mit jener einer „herkömmlichen“ Hüftgelenksoperation verglichen werden, bei der eine ärztliche Aufklärung erst am Vortag reichen mag (vgl zu einer solchen 7 Ob 64/11d). Demgegenüber hat der Oberste Gerichtshof die Beurteilung, dass für die spezielle Operation einer Umstellungsosteotomie des Beckens bei einem bereits Erwachsenen, bei dem die Erfolgsaussichten eines solchen Eingriffs niedriger sind, eine Aufklärung erst am Vortag der Operation zu spät sei, nicht beanstandet (1 Ob 252/15p).

Mit dem Fall 7 Ob 46/00s, in dem der Oberste Gerichtshof aufgrund der Dringlichkeit einer operativen Sanierung eines unfallbedingten Bänderrisses die Einschätzung der damaligen Vorinstanzen, die zehnstündige Überlegungsfrist habe ausgereicht, als nicht korrekturbedürftig erkannte, ist hingegen der hier zu beurteilende nicht vergleichbar; die Magenbypass-Operation der Klägerin war nicht dringend. Aus dem selben Grund steht das Berufungsurteil auch nicht in Konflikt mit der Entscheidung 5 Ob 4/19b, in der der Oberste Gerichtshof die Beurteilung des damaligen Berufungsgerichts nicht beanstandete, das ärztliche Aufklärungsgespräch am Vortag der Operation sei deshalb rechtzeitig gewesen, weil die bisherige konservative Behandlung durch Gabe eines Antibiotikums bereits seit gut sechs Tagen erfolglos geblieben war und bei deren Fortsetzung unter Umständen eine gefährliche Notoperation gedroht hätte.

Zum Volltext im RIS.

 
ogh.gv.at | 29.04.2024, 06:04
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/rechtzeitigkeit-einer-operationsaufklaerung/)

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