Zum Hauptinhalt
 
 
 
 

Lebensversicherung: Zu den Rechtsfolgen des Spätrücktritts

 
 

§ 176 Abs 1 VersVG idgF (BGBl I 2018/51) ist insoweit als unionsrechtswidrig zu qualifizieren, als er bei einer kapitalbildenden Lebensversicherung für einen Rücktritt nach Ablauf des fünften Jahres nach Vertragsabschluss und die Kündigung des Vertrags dieselben rechtlichen Wirkungen vorsieht.

Die Klägerin ist Verbraucherin und schloss mit der Beklagten im Jahr 2008 eine kapitalbildende Lebensversicherung ab. Sie erhielt weder eine Kopie des Versicherungsantrags noch das Beratungsprotokoll. Sie erhielt auch die verbindliche Zusatzerklärung nicht, in der sich eine Belehrung über das Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers findet. Mit Schreiben vom 20. April 2020 erklärte sie gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Lebensversicherungsvertrag und forderte diese zur Rückzahlung der geleisteten Prämien samt Zinsen auf. Die Beklagte lehnte die Forderungen der Klägerin ab.

Die Klägerin begehrt die Rückzahlung der gesamten von ihr bezahlten Prämien samt Zinsen. Die Beklagte wandte ein, bei einem Spätrücktritt nach Ablauf von fünf Jahren stehe gemäß der Neuregelung in § 176 Abs 1a VersVG nur der Rückkaufswert zu.

Der Oberste Gerichtshof legte dar, dass im vorliegenden Fall § 176 VersVG idF BGBl I 2018/51 anzuwenden ist, weil der Rücktritt nach dem 1. Jänner 2019 erfolgte. Aus § 176 Abs 1a iVm § 176 Abs 1 VersVG folgt, dass der Versicherungsnehmer bei einem Rücktritt von einer kapitalbildenden Lebensversicherung nach Ablauf von fünf Jahren ab Vertragsabschluss – wie hier – den Rückkaufswert erhält. Da der Gesetzgeber mit der Novelle nur bei einem „Spätrücktritt“ bis zum Ablauf des fünften Jahres nach Vertragsabschluss die Rechtsfolgen neu geregelt und für den darüber hinausgehenden Zeitraum keine neue Rechtsfolgenregelung geschaffen hat, ist die bisherige Rechtsprechung anzuwenden. Nach dieser Judikatur ist die Beschränkung auf den Rückkaufswert im Fall eines Rücktritts unzulässig, sodass auch § 176 Abs 1 VersVG idgF insoweit als unionsrechtswidrig zu qualifizieren ist, als er für den Rücktritt und die Kündigung des Vertrags dieselben rechtlichen Wirkungen vorsieht, ohne dass es einer neuerlichen Befassung des EuGH bedürfte. Der Rücktritt der Klägerin löst daher im vorliegenden Fall nicht die Rechtsfolgen nach § 176 Abs 1 iVm Abs 3 bis Abs 5 VersVG aus, sondern führt zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Vertrags und damit zur Rückzahlung der von ihr geleisteten Netto-Versicherungsprämien. Die Frage, ob auch die Neuregelung in § 176 Abs 1a VersVG als unionsrechtswidrig zu qualifizieren ist, stellt sich hier mangels Entscheidungsrelevanz nicht.

Zum Volltext im RIS.

 
ogh.gv.at | 26.04.2024, 05:04
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/lebensversicherung-zu-den-rechtsfolgen-des-spaetruecktritts/)

Oberster Gerichtshof  |  Schmerlingplatz 11 , A-1010 Wien  |  Telefon: +43 1 52152 0  |  Telefax: +43 1 52152 3710