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Anwendung von englischem Erbrecht in einem österreichischen Pflichtteilsprozess

 
 

Das Fehlen von bedarfsunabhängigen Pflichtteilsansprüchen im englischen Erbrecht verstößt nicht gegen Grundwertungen des österreichischen Rechts.

Die in Kärnten geborene Erblasserin hatte nach dem 2. Weltkrieg einen britischen Staatsbürger geheiratet und mit ihm 18 Jahre in Großbritannien, sieben Jahre in Südafrika und 23 Jahre in Paris und Brüssel gelebt; danach hatte sie sich mit ihrem Mann wieder in Kärnten niedergelassen. Ihr Mann starb 2007, ihre einzigen lebenden Nachkommen sind zwei Enkeltöchter, die in Großbritannien und den Niederlanden ansässig sind. Die Erblasserin verfügte bis zu ihrem Tod über einen britischen Pass. In einem Testament ordnete sie an, dass auf die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen englisches Recht angewendet werden solle. Als Erben bestimmte sie einen Neffen, die Enkeltöchter sollten nichts bekommen. Ein wesentlicher Teil ihres in britischen Trusts (Stiftungen) liegenden Vermögens fiel an einen österreichischen Tierschutzverein.

Nach englischem Recht haben Nachkommen keinen vom konkreten Bedarf unabhängigen Anspruch („Pflichtteilsanspruch“) auf einen Teil des Nachlasses. Die Enkeltöchter klagten den Tierschutzverein dennoch auf Zahlung des Pflichtteils. Die im Testament vorgenommene Wahl englischen Erbrechts sei unwirksam. Sollte sie wirksam sein, verstoße jedenfalls das Fehlen von Pflichtteilsansprüchen gegen Grundwertungen des österreichischen Rechts (den österreichischen „ordre public“), sodass zumindest insofern österreichisches Recht anzuwenden sei.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab, der Oberste Gerichtshof bestätigte diese Entscheidung:

Welches Recht in Erbrechtsfällen mit Auslandsberührung anzuwenden ist, ergibt sich aus der Europäischen Erbrechtsverordnung, einem Rechtsakt der Europäischen Union. Danach ist zwar grundsätzlich das Recht jenes Staates anwendbar, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Der Erblasser kann aber mit einer „Rechtswahl“ verfügen, dass stattdessen das Recht jenes Staates angewendet werden soll, dem er angehört.

Im konkreten Fall war durch den Pass nachgewiesen, dass die Erblasserin britische Staatsangehörige war. Ihre Wahl englischen Rechts war daher grundsätzlich wirksam. Zwar wäre dieses Recht nicht anzuwenden, wenn es im konkreten Fall zu einem Ergebnis führte, das gegen Grundwertungen des österreichischen Rechts (den österreichischen ordre public) verstößt. Das trifft aber beim Fehlen von bedarfsunabhängigen Pflichtteilsansprüchen nicht zu: Pflichtteilsansprüche sind in Österreich (anders als in Deutschland) nicht verfassungsrechtlich abgesichert, sie können in bestimmten Fällen entzogen oder gemindert werden, und der Gesetzgeber hat sie bei der Neuregelung des Erbrechts im Jahr 2015 deutlich eingeschränkt. Zudem wies der konkrete Fall nur einen vergleichsweise geringen Inlandsbezug auf, weil die Enkeltöchter im Ausland ansässig sind und auch das betroffene Vermögen aus britischen Trusts stammte. Daher bleibt es bei der Anwendung des englischen Rechts, nach dem kein Anspruch gegen den Tierschutzverein besteht.

Zum Volltext im RIS.

 
ogh.gv.at | 29.03.2024, 09:03
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/anwendung-von-englischem-erbrecht-in-einem-oesterreichischen-pflichtteilsprozess/)

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