Zur Haftung für „im Zustand der Sinnesverwirrung“ verursachte Schäden
Keine Haftung gemäß § 1307 ABGB, wenn ein Missbrauch von Alkohol und Drogen zu einer psychischen Erkrankung führt, und Schäden nicht im Rauschzustand, sondern als Folge der Erkrankung verursacht werden.
Der Kläger, ein Polizist, wurde im Zusammenhang mit einer Amtshandlung zu einem „Todfeind“ für den Beklagten. Der Beklagte versandte daraufhin zahlreiche E-Mails und veröffentliche You-Tube-Videos und Facebook-Postings mit den Kläger beleidigenden und verleumdenden Inhalten. Die fortgesetzten Angriffe führten beim Kläger zu einer schweren Gesundheitsschädigung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Der Beklagte leidet allerdings an einer paranoiden Schizophrenie und kombinierten Persönlichkeitsstörung. Im gegen ihn geführten Strafverfahren wurde daraufhin ausgesprochen, dass der Beklagte unter dem Einfluss einer die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Geisteskrankheit Taten begangen hat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind und ihm, wäre er zurechnungsfähig gewesen, a) als Vergehen der fortdauernden Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems nach § 107c Abs 1 Z 1, Abs 2 zweiter und dritter Fall StGB und b) als Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB zuzurechnen wären.
Mit seiner vor dem Zivilgericht eingebrachten Klage begehrt der Kläger nunmehr ua Schmerzengeld und entgangenen Verdienst vom Beklagten. Der Beklagte hafte ungeachtet seiner fehlenden Zurechnungsfähigkeit gemäß § 1307 ABGB, weil er sich aus eigenem Verschulden in diesen Zustand versetzt habe. Zum einen habe er seit vielen Jahren Alkohol und Drogen missbraucht, und zum anderen habe er die ihm verschriebenen Medikamente eigenmächtig abgesetzt.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab, weil § 1307 ABGB nicht einschlägig sei, und der Oberste Gerichtshof bestätigte deren Entscheidung.
§ 1307 ABGB ordnet auch in jenen Fällen eine Haftung an, in denen sich jemand schuldhaft in einen – abstrakt gefährlichen – „Zustand der Sinnesverwirrung“ versetzt. Nach Wortlaut, Zweck und Entstehungsgeschichte der Norm meint dies jedoch einen bloß vorübergehenden Zustand, während ua psychisch erkrankte Personen gemäß § 21 ABGB unter dem besonderen Schutz der Gesetze stehen.
Eine Haftung nach § 1307 ABGB im Zusammenhang mit der (schuldhaften) Konsumation von Alkohol (und anderen berauschenden Substanzen) erfasst daher lediglich Schäden, die in einem daraus folgenden Rauschzustand verursacht wurden. § 1307 ABGB bietet keine Grundlage für eine Haftung für Handlungen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung gesetzt wurden, möge sie auch auf einen (verschuldeten) Missbrauch von Rauschmitteln zurückgehen. Auch die unterlassene Einnahme von Medikamenten, die eine dauernde psychische Grunderkrankung bzw deren Symptome verstärkt, kann einem schuldhaften Versetzen in den Zustand der Sinnesverwirrung iSd § 1307 ABGB nicht ohne weiteres gleichgehalten werden.