Notwehr im Wirtshaus
Notwehrexzess gegenüber betrunkenem Angreifer im Einzelfall verneint
Weil der alkoholisierte Kläger begonnen hatte, sich in einer Wirtsstube aggressiv zu verhalten, wurde der in der Nähe wohnende Beklagte zu Hilfe gerufen, ein pensionierter Polizeibeamter. Der Kläger leistete dessen Aufforderung, die Rechnung zu begleichen und das Gasthaus zu verlassen, nicht Folge, sondern versuchte vielmehr, den Beklagten zu schlagen. Der Beklagte drängte daraufhin den Kläger Richtung Terrassenausgang und fixierte ihn, nachdem beide zu Sturz gekommen waren, am Boden mit einer Armwinkelsperre.
Der Kläger, der entweder durch den Sturz oder die vom Beklagten ausgeführten Handlungen, insbesondere die Armwinkelsperre, eine Beschädigung des Zahns im linken Unterkiefer, eine Verletzung am rechten Handgelenk und Arm sowie einen Riss der Daumensehne erlitt, fordert nunmehr Schadenersatz vom Beklagten.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab, und der Oberste Gerichtshof wies die außerordentliche Revision des Klägers zurück, weil die Entscheidung im Einzelfall vertretbar ist.
Der Oberste Gerichtshof verwies in seiner Begründung auf bereits vorbestehende zivil- und strafgerichtliche Rechtsprechung, wonach Betrunkene insoweit keinen besonderen Schutz genießen, sondern das Notwehrrecht ihnen gegenüber in vollem Umfang besteht (zumal durch Alkohol enthemmte Angreifer oftmals besonders gefährlich sind). Dem Argument des Klägers, dass der Beklagte Cobrabeamter gewesen sei und besondere Ausbildungen im Bereich Selbstverteidigung, Nahkampf und Deeskalation genossen habe, weswegen ihm ein Notwehrexzess vorzuwerfen sei, wurde entgegengehalten, dass einer im Nahkampf ausgebildeten Person in der Regel zwar mehr Möglichkeiten zur Verfügung stehen werden. Auch sie darf aber ein Mittel wählen, das den Angriff verlässlich, dh sofort und endgültig beendet, und muss sich nicht mit einer Abwehrhandlung begnügen, deren Wirkung zweifelhaft ist. Nach den von den Vorinstanzen getroffenen und für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststelllungen schob der Beklagte den (ihn mit der Faust attackierenden und betrunkenen) Kläger zunächst nur mit der flachen Hand Richtung Ausgang, während der Kläger nach dem (ungewollten) Sturz beider sogar noch am Boden liegend auf den Beklagten einzuschlagen versuchte. Dessen ungeachtet versuchte der Beklagte nicht, seinerseits den Kläger zu stoßen oder zu schlagen, sondern nur wegzuschieben bzw zu fixieren. Welche weniger einschneidenden Maßnahmen dem Beklagten in dieser Situation möglich gewesen wären, wurde vom (für den Notwehrexzess beweispflichtigen) Kläger nicht aufgezeigt. Da die Notwendigkeit der Abwehrhandlung ex ante zu beurteilen ist, kann ein Notwehrexzess auch nicht aus den beim Kläger letztlich eingetretenen Verletzungen abgeleitet werden.