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„Schilderwald“ bei Baustelle

 
 

Der Oberste Gerichtshof präzisiert seine Rechtsprechung zur Geltung von Verkehrszeichen, die ohne Deckung durch eine Verordnung aufgestellt wurden.

Auf einer durch das Ortsgebiet führenden Bundesstraße war zum Unfallzeitpunkt eine Großbaustelle eingerichtet. Nach einer Verordnung der zuständigen Bezirkshauptmannschaft sollte das Befahren der Bundesstraße in beiden Richtungen „mit der Zusatztafel ‚Zufahrt bis zur Baustelle gestattet‘“ verboten sein. Für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen verordnete die Bezirkshauptmannschaft ein Fahrverbot mit der Zusatztafel „ausgenommenen Linienbusse und Müllabfuhr sowie Ziel und Quellverkehr“. Tatsächlich waren vor Ort neben der Baustelle am linken Straßenrand Verbotszeichen nach § 52 lit a Z 1 StVO („Fahrverbot [in beiden Richtungen]“) ohne Zusatztafel (§ 54 StVO) aufgestellt. Es waren allerdings  sowohl „bei der Baustelle“ (also im Bereich der späteren Kollisionsstelle) als auch im davor gelegenen Bereich der ausgeschilderten Umleitung jeweils großformatige Hinweistafeln mit der Aufschrift „Zufahrt bis Raika, [Apotheke], Zufahrt zu den Geschäften bis zur Baustelle möglich“ vorhanden.

Der Kläger befuhr die Bundesstraße im Baustellenbereich. Der Erstbeklagte näherte sich der Kreuzung mit der Bundesstraße (aus Fahrtrichtung des Klägers gesehen) von links kommend in einer Straße an, die durch das Vorrangzeichen nach § 52 lit c Z 23 StVO („Vorrang geben“) abgewertet war. Er wollte die Bundesstraße überqueren und fuhr in einem Zug in die Kreuzung ein. Er rechnete wegen der Baustelle nicht mit (aus seiner Sicht) von rechts kommendem Verkehr. Es kam zur Kollision der beiden Fahrzeuge.

Das Berufungsgericht ging davon aus, dass dem Erstbeklagten eine Vorrangverletzung anzulasten ist und ihn das Alleinverschulden am Unfall trifft.

Der Oberste Gerichtshof gab einer Revision der Beklagten nicht Folge. Durch das Befahren des Baustellenbereichs ungeachtet der am linken Straßenrand aufgestellten Verbotszeichen nach § 52 lit a Z 1 StVO („Fahrverbot [in beiden Richtungen]“) ohne Zusatztafel (§ 54 StVO) hat der Kläger nicht rechtswidrig gehandelt. Die Kundmachung des Verbotszeichens nach § 52 lit a Z 1 StVO war nicht durch die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft gedeckt, die nur ein beschränktes Fahrverbot mit entsprechender Zusatztafel („Zufahrt bis zur Baustelle gestattet“) verfügt hatte. Die Anordnung „Zufahrt bis zur Baustelle gestattet“ hätte ein Verkehrsteilnehmer dahin verstehen dürfen, dass er in den Bereich der Baustelle (bis zur faktischen Totalsperre der Straße) einfahren und auch wieder zurückfahren kann.

Auf die Geltung aufgestellter Verkehrszeichen muss sich grundsätzlich jedermann verlassen können. Ob ein ohne Deckung durch eine Verordnung aufgestelltes – daher an sich ungültiges – Verkehrszeichen aus Gründen der Verkehrssicherheit zu beachten ist, hängt davon ab, ob dadurch ein dem gebotenen Verhalten entsprechendes Recht eines anderen Verkehrsteilnehmers zum Ausdruck kommt. Durch das Verbotszeichen nach § 52 lit a Z 1 StVO („Fahrverbot [in beiden Richtungen]“) kommt kein zum gebotenen Verhalten korrespondierendes Recht eines anderen Verkehrsteilnehmers zum Ausdruck, sodass dem Kläger der Verstoß gegen die ohne Deckung durch entsprechende Verordnung kundgemachten Verbotszeichen im Verhältnis zum Erstbeklagten nicht angelastet werden kann. Der Erstbeklagte durfte auch im Hinblick auf das für ihn deutlich erkennbar angebrachte, nicht verhüllte (negative) Vorrangzeichen nicht auf ein entsprechendes Recht (seinen Vorrang) vertrauen.

Link zum Volltext im RIS

 
ogh.gv.at | 29.05.2025, 11:05
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/schilderwald-bei-baustelle/)

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